Wenn das Wissen und das Verständnis über das Klimasystem zugenommen haben, warum wurde die Bandbreite der Temperaturprojektionen nicht geringer? (FAQ 1.1)

Wenn das Wissen und das Verständnis über das Klimasystem zugenommen haben, warum wurde die Bandbreite der Temperaturprojektionen nicht geringer? (FAQ 1.1)

Bei meinen Vorträgen hatte ich gelegentlich den Eindruck, dass ein gewisses Informationsdefizit über den Klimawandel besteht. Auch hört man ab und zu Zweifel, ob es den Klimawandel überhaupt gibt. Um da ein wenig mehr Licht ins Dunkel zu bringen, gibt es diese Serie mit wesentlichen Fragen zum Klimawandel. Die Fragen und Antworten sind nicht von mir, sondern vom Weltklimarat der Vereinten Nationen (IPCC). Die deutsche Übersetzung kommt von meinen Kollegen aus dem Klimabüro (REKLIM). Die Fragen und Antworten (FAQ) sind so formuliert, dass man sie als nicht Wissenschaftler verstehen kann.

Die Modelle, mit denen die Temperaturprojektionen des IPCC berechnet werden, stimmen hinsichtlich der Richtung des zukünftigen globalen Wandels überein, aber die Größe dieser Änderungen kann nicht genau bestimmt werden. Zukünftige Treibhausgasemissions­raten könnten jeden beliebigen der vielen möglichen Verläufe nehmen. Zudem sind manche der zugrunde liegenden physikalischen Prozesse bisher noch nicht vollständig verstanden, was es schwierig macht, sie zu modellieren. Diese Unsicherheiten führen in Kombina­tion mit der natürlichen Klimavariabilität von Jahr zu Jahr zu einem „Unsicherheitsbereich“ der Temperaturprojektionen.

Der Unsicherheitsbereich der projizierten Emissionen von Treibhausgasen und Aerosolvorläufersubstanzen (die von den Projektionen zukünftiger sozialer und wirtschaftlicher Bedingungen abhängig sind) kann nicht wesentlich reduziert werden. Trotzdem können ein verbessertes Verständnis und verbesserte Klimamodelle – zusammen mit aus Beobachtungen abgeleiteten Leitplanken – den Unsicherheitsbereich mancher Faktoren reduzieren, welche die Reaktionen des Klimasystems auf diese Emissionsänderungen beeinflussen. Allerdings führt die Komplexität des Klima­systems dazu, dass dies ein langsamer Prozess ist (FAQ 1.1, Abbildung 1).

Seit dem letzten IPCC-Sachstandsbericht hat es aufgrund von Verbesserungen der Messmethoden und der Datenanalyse in den Bereichen der ­Kryosphäre, der Atmosphäre, der Landflächen, der ­Biosphäre und der ozeanischen Systeme in den ­Klimawissenschaften zahlreiche wichtige Fortschritte gegeben. Auch haben Wissenschaftler heute ein besseres Verständnis und bessere Werkzeuge, um die Rolle von Wolken, Meereis, Aerosolen, kleinräumiger Ozeanzirkulation, des ­Kohlenstoffkreislaufs und anderer Prozesse zu modellieren. Mehr Beobachtungen bedeuten, dass die Modelle nun umfassender evaluiert und ­Projektionen somit besser eingeschränkt werden können. Beispielsweise wurden durch verbesserte Modelle und Beobachtungsanalysen die Projektionen des Meeresspiegelanstiegs präziser und das aktuelle Budget des Meeresspiegelanstiegs ist nun ausgeglichen.

Trotz dieser Fortschritte gibt es immer noch eine Bandbreite von plausiblen Projektionen für das zukünftige globale und regionale Klima – dies nennen die Wissen­schaftler „Unsicherheitsbereich“. Diese Unsicherheitsbereiche sind spezifisch für die betrachtete Variable (beispielsweise Niederschlag vs. Temperatur) und die räumliche und zeitliche Ausdehnung (beispielsweise regionale vs. globale Mittelwerte). Unsicherheiten in Klimaprojektionen entstehen durch natürliche Varia­bilität und durch die Unsicherheit über zukünftige Emissionsraten und darüber, wie das Klima auf diese reagieren wird. Sie können auch aus dem Grund auftreten, dass die Darstellungen von manchen bekannten Prozessen bisher nicht hinreichend ausgereift sind und weil manche Prozesse bisher noch nicht in die Modelle mit einbezogen werden.

Aufgrund der chaotischen Natur des Klimasystems ist grundlegend begrenzt, wie genau ­Jahrestemperaturen projiziert werden können. Außerdem sind dekadische Projektionen empfindlich gegenüber vorherrschenden Bedingungen, wie zum Beispiel der Temperatur im tieferen Ozean, die weniger genau bekannt sind. Ein Teil der natürlichen Variabilität auf dekadischen Zeit­skalen entsteht durch die Wechselwirkung zwischen Ozean, Atmosphäre, Landfläche, Biosphäre und Kryosphäre und ist auch mit Phänomenen wie der El Niño-Southern Oscillation (ENSO) und der Nordatlantischen Oszillation (NAO) verknüpft (siehe Box 2.5 für Details über Muster und Indizes der ­Klimavariabilität).

Vulkanausbrüche und Schwankungen in der Sonnenaktivität tragen ebenfalls zur natürlichen Variabilität bei, wenngleich sie extern angetrieben und erklärbar sind. Diese natürliche Variabilität kann als Teil des „Rauschens“ des Klimasystems gesehen werden, das den Hintergrund bildet, vor dem das „Signal“ des anthropogenen Klimawandels nachgewiesen wird. 

Die natürliche Variabilität hat auf regionaler und lokaler Ebene einen größeren Einfluss auf die Unsicherheit als auf kontinentaler oder globaler Ebene. Sie ist fester Bestandteil des Erdsystems und mehr Wissen wird die Unsicherheiten, die sie mit sich bringt, nicht beseitigen. Dennoch sind Verbesserungen möglich, insbesondere bei Projektionen, die höchstens einige Jahre in die Zukunft schauen, sofern diese den ­Wissenszuwachs hinsichtlich zum Beispiel der Kryosphäre oder des Ozeans und seiner Prozesse nutzen. Dies ist ein Gebiet intensiver Forschung. Wenn ­Klimavariablen über Jahrzehnte oder längere Zeiträume gemittelt werden, vermindert dies die relative Bedeutung der internen Variabilität, was dazu führt, dass Lang­zeitsignale deutlicher zu Tage treten ­(FAQ 1.1, Abbildung 1). Diese Langzeitperspektive stimmt mit der üblichen Definition des Klimas als Mittelwert über 30 Jahre überein. 

Eine zweite Unsicherheitsquelle resultiert aus den vielen möglichen Verläufen, die zukünftige Emis sionen von Treibhausgasen und Aerosolvorläufersubstanzen nehmen können, sowie von der zukünftigen Entwicklung der Landnutzung. Dennoch werden diese Größen für Klimaprojektionen benötigt. Um diese Schätzungen also zu erhalten, berücksichtigen Wissenschaftler mehrere alternative Szenarien über die zukünftige Gesellschaft hinsichtlich Bevölkerung, wirtschaftlichen und technologischen Wandels und politischer Entscheidungen. Anschließend berechnen sie die wahrscheinlichen Emissionen unter jedem dieser Szenarien. Der IPCC unterstützt die politische Entscheidungsfindung – so können Klimaprojektionen für verschiedene Emissionsszenarien hilfreich sein, da sie mögliche klimatische Konsequenzen verschiedener politischer Entscheidungen aufzeigen. Diese Szenarien sollen mit der gesamten Bandbreite an in der aktuellen wissenschaftlichen Literatur beschriebenen Emissionsszenarien vereinbar sein, ob mit oder ohne klimapolitische Maßnahmen. Als solche sind sie dafür ausgelegt, die Unsicherheit in zukünftige Szenarien zu ermitteln.

Projektionen für die nächsten Jahre und Jahrzehnte hängen von Emissionen kurzlebiger Verbindungen wie Aerosolen und Methan ab. Längerfristige Projektionen hängen jedoch stärker von Alternativszenarien hinsichtlich der Emissionen von langlebigen Treibhausgasen ab. Diese von Szenarien abhängigen Unsicherheiten können nicht durch Verbesserungen in der Klimaforschung reduziert werden und werden die bedeutendste Unsicherheit in Projektionen über längere Zeiträume darstellen (z.B. 2100) (FAQ 1.1, Abbildung 1).

Ein weiterer Beitrag zum Unsicherheitsbereich resultiert schließlich aus unserem unvollständigen Wissen darüber, wie das Klima auf zukünftige anthropogene Emissionen und auf Landnutzungsänderungen reagieren wird. Wissenschaftler benutzen vorwiegend computerbasierte globale Klimamodelle, um diese Reaktion abzuschätzen. Mehrere Dutzend globale Klimamodelle wurden von verschiedenen Wissenschaftlergruppen auf der ganzen Welt entwickelt. Alle Modelle beruhen auf denselben physikalischen Prinzipien, aber es sind gewisse Näherungen notwendig, da das Klimasystem so komplex ist. Verschiedene Gruppen wählen leicht unterschiedliche Näherungsansätze, um bestimmte Prozesse in der Atmosphäre, wie zum Beispiel Wolken, darzustellen. Diese Auswahl führt zu Unterschieden in den Klimaprojektionen verschiedener Modelle. Dieser Beitrag zum Unsicherheitsbereich wird als „Reaktionsunsicherheit“ oder „Modellunsicherheit“ bezeichnet.

Die Komplexität des Erdsystems bedeutet, dass das zukünftige Klima vielen verschiedenen Szenarien folgen könnte und trotzdem mit unserem gegenwärtigen Verständnis und den existierenden Modellen konsistent wäre. Mit länger werdenden Beobachtungszeitreihen und verbesserten Modellen sollten Wissenschaftler in der Lage sein, diese Spanne der wahrscheinlichen Temperaturwerte, innerhalb der Grenzen der Bandbreite natürlicher Variabilität, in den nächsten Jahrzehnten zu reduzieren (FAQ 1.1, Abbildung 1). Es ist ebenfalls möglich, Informationen über den derzeitigen Zustand der Ozeane und der Kryosphäre zu nutzen, um bessere Projektionen für die nähere Zukunft (einige Jahre) zu erstellen. 

FAQ 1.1, Abbildung 1 | Schematische Darstellung der relativen Bedeutung verschiedener Unsicherheitsquellen und ihrer Entwicklung über die Zeit. (a) Änderung der dekadischen mittleren Oberflächentemperatur (°C) aus historischen Aufzeichnungen (schwarze Linie), mit aus Klimamodellen geschätzten Unsicherheiten für den historischen Zeitraum (grau), sowie zukünftige Klimaprojektionen und dazugehörige Unsicherheiten. Die Werte sind auf die Mittelwerte von 1961 bis 1980 normalisiert. Natürliche Variabilität (orange) wurde aus der Modellvariabilität von Jahr zu Jahr bestimmt und wird als zeitlich konstant angenommen. Die Unsicherheit der Emissionswerte (grün) wird als die mittlere modellierte Differenz von Projektionen aus unterschiedlichen Szenarien geschätzt. Die Unsicherheit der Klimareaktion (blau) basiert auf der Streuung der Klimamodelle sowie zusätzlichen Unsicherheiten aus dem Kohlenstoffkreislauf und groben Schätzungen zusätzlicher Unsicherheit durch unzureichend modellierte Prozesse. Nach Hawkins und Sutton (2011) und Huntingford et al. (2009). Die Unsicherheit der Klimareaktion kann sich scheinbar erhöhen (b), wenn ein neuer Prozess als relevant erkannt wird, allerdings reflektieren solche Anstiege eine Quantifizierung zuvor nicht gemessener Unsicherheit, oder (c) sie sinkt durch zusätzliche Modellverbesserungen und aus Beobachtungen abgeleiteter Leitplanken. Der angegebene Unsicherheitsbereich von 90 % bedeutet, dass die berechnete Temperatur mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 % in diesem Bereich liegt.

Indem der wissenschaftliche Fortschritt vorangeht, können neue geophysikalische Prozesse in die Klimamodelle integriert und die Darstellungen der bereits enthaltenen verbessert werden. Diese Entwicklungen können modellbasierte Schätzungen von Unsicherheiten der Klimareaktion scheinbar vergrößern, allerdings reflektieren solche Anstiege lediglich die Tatsache, dass zuvor nicht bemessene Unsicherheitsquellen nun beziffert werden (FAQ 1.1, Abbildung 1). Indem immer mehr wichtige Prozesse hinzugefügt werden, nimmt der Einfluss nicht quantifizierter Prozesse ab, und die Projektionen können als vertrauenswürdiger betrachtet werden.


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Diese deutsche Übersetzung sollte zitiert werden als:

IPCC 2014: Klimaänderung 2013: Naturwissenschaftliche Grundlagen. Häufig gestellte Fragen und Antworten – Teil des Beitrags der Arbeitsgruppe I zum Fünften Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) [T.F. Stocker, D. Qin, G.-K. Plattner, M. Tignor, S.K. Allen, J. Boschung, A. Nauels, Y. Xia, V. Bex und P.M. Midgley (Hrsg.)]. Deutsche Übersetzung durch die deutsche IPCC-Koordinierungsstelle und Klimabüro für Polargebiete und Meeresspiegelanstieg, Bonn, 2017.

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