Rügen
Das Boot ruckt mit brutaler Gewalt in die Festmacher ein. Wir liegen längsseits an der längsten Mole Nordeuropas, im Hafen von Sassnitz. In der Nacht haben wir 8 Windstärken aus Nordost.
Die Länge der Mole nützt in Sassnitz nichts gegen den Schwel, der in den Hafen läuft, sobald der Wind eine östliche Komponente hat. Das Wasser bewegt sich hier nicht nur hoch und runter, sondern bei jeder Welle auch mehrere Meter vor und zurück, so dass die Boote mit voller Wucht in die Festmacher rumsen. Es gibt solche Schläge, dass man aufpassen muss, dass man nicht aus der Koje katapultiert wird. Mehrmals stehe ich auf und prüfe unsere sechs Festmacher, ob sie noch nicht durchgescheuert sind. Der Eigner einer Bavaria 34, die vor uns liegt ist jedes Mal auch mit Taschenlampe draußen und versucht sein Boot zu sichern. Er hat echte Bedenken, dass es Ihm die Klampen aus seinem Schiff reist und schimpft die ganze Zeit furchtbar über den blöden Hafen.
Am nächsten Morgen treffe ich auch seine Frau. Der Wind und die Wellen haben noch nicht nachgelassen. Die Arme sitzt ganz grün im Gesicht an der Reling und versucht die Fender zwischen Schiff und Betonwand zu halten. Die Bedingungen sind wirklich schlecht. Zum Auslaufen kann ich mich nicht entschließen, da draußen das Meer zu kochen scheint. Aber wir müssen unbedingt von dieser Mole weg. Die Belastungen auf das Boot sind immens. Im Hafen gibt es auf der gegenüberliegenden Seite einen Steg auf einem Stahlgestell. Dort müsste es eigentlich besser sein, da der Schwel nicht an der glatten Betonwand verstärkt wird, sondern frei im Hafenbecken weiterlaufen kann. Wir legen das Boot um und meine Vermutung erweist sich als richtig. Xenia bewegt sich dort zwar immer noch auf und ab, aber die Bewegung in horizontaler Richtung wird wesentlich geringer.
Vor einer Woche bin ich mit meinem 21 jährigen Sohn Tobias in Greifswald aufgebrochen. Wir sind durch den Strelasund nach Kloster in Hiddensee. Von dort ging es dann um Kap Arkona weiter hierher nach Sassnitz. Eigentlich wollten wir heute durch das Landtief Fahrwasser zurück nach Greifswald und morgen meine Frau Susanne vom Bahnhof abholen. Am nächsten Abend sind wir immer noch in Sassniz. Susanne haben wir informiert und sie kommt nach einer langen Zugfahrt quer durch Deutschland hier an.
Auf nach Bornholm
Am nächsten Morgen scheint die Sonne und der Sturm ist vorbei. Die Wettervorhersage ist gut und wir beschließen den Schlag nach Bornholm zu wagen. Aber erst müssen wir noch Bunkern. Die übliche Sicherheitseinweisung für Susanne machen wir nach dem Ablegen auf See, da es schon 11 Uhr ist und wir sonst noch später loskommen. Das Segeln bei 3 BFT macht Spaß und die Dünung nimmt immer weiter ab. Leider auch der Wind. Nach 3 Stunden haben wir nur noch ungefähr 2 Knoten Geschwindigkeit über Grund. Tendenz abnehmend. Die Überfahrt zieht sich. Es gibt einen tollen Sonnenuntergang bei 1,5 Knoten Speed Over Ground. Die Nacht ist sternenklar. Mit Einbruch der Dunkelheit lasse ich das Radar mitlaufen und die Großschifffahrt ist auch sehr gut durch das AIS im Kartenplotter zu sehen.
AIS ist ein wirklich hilfreiches System das der Sicherheit auf See dient. Alle Großschiffe und manche Yachten (unsere XENIA hat einen) sind mit sogenannten AIS-Transpondern ausgerüstet. Diese senden in kurzen Abständen Ihre Position, Geschwindigkeit, und Kurs, neben anderen Daten an alle Schiffe im Umkreis von ungefähr 20 Seemeilen. Dadurch bekommt man ein sehr gutes Bild von der Verkehrssituation in der Umgebung. Wenn man das Gefühl hat, dass es mit einem Dampfer eng wird, bekommt man von dem System sogar angezeigt wie dicht er an einem vorbeifahren wird.
Wir laufen um 2:15 Uhr in den Handelshafen von Rönne auf Bornholm ein. Um 3:00 ist das Boot aufgeklart und ich falle ins Bett. In den nächsten Tagen bummeln wir an der Westküste nach Nord und finden dabei den sehr netten, aber winzigen Hafen von Vang. Hier gibt es WLAN, Duschen, Strom und alles ist im günstigen Hafengeld bereits enthalten. Das Beste ist jedoch die grandiose Landschaft. Wir unternehmen von hier aus mehrere, zum Teil recht ausgedehnte Wanderungen. Der Hafenmeister ist sehr nett und kopiert uns sogar Detailkarten zu den Routen. Toller Service.
Hanöbucht
Wir laufen Rumpfgeschwindigkeit. Achterlicher Wind mit gesetztem Spinnaker, aber ohne Großsegel. Es würde den Spi abdecken und die Rauschefahrt ungemütlicher machen. Noch zwei Stunden bis zur Insel Hanö. An Backbord unter Land zieht eine Schauerböe vorbei. Das Radar zeigt deutlich, dass sie uns nicht Treffen wird. Ich lasse den Spi stehen. Tolles segeln!
Gestern sind wir von Bornholm weiter nach Simrishamn. Von dort heute Morgen weiter Richtung Hanö in der gleichnamigen Bucht im Süden von Schweden. Von der Insel sind wir begeistert. Es gibt keine Autos und sie ähnelt einem großen Tierpark. Überall gibt es Wild und wir sind uns nicht sicher, ob die Tiere zahm oder wild sind.
Auf der Weiterfahrt nach Karlskrona werden wir mit massivem Seenebel konfrontiert. Solch dichten Nebel kenne ich vom Bodensee im Herbst. Dadurch habe ich glücklicherweise recht viel Erfahrung mit dem Radar wenn man plötzlich null Sicht hat. Das Radar und das AIS bewähren sich absolut hervorragend, so dass keine Unsicherheiten aufkommen als immer wieder Großschifffahrt unseren Weg kreuzt. Als wir unter Land kommen ist glücklicherweise der Nebel so schnell weg, wie er gekommen ist.
Vor den Schären habe ich gehörigen Respekt. Die Vorstellung, dass dort überall Steine unter der Wasseroberfläche rumliegen, die man nicht sieht und die das Potential haben meine XENIA II zu versenken ist mir sehr unangenehm. Nach einer Weile stellte sich Routine ein und man erkennt, dass die Fahrwasser sehr gut betonnt sind. Eine sorgfältige Navigation ist jedoch unabdingbar. Von den Schären bin ich total begeistert. Die Landschaft ist unglaublich und hat meine Erwartungen weit übertroffen.
Karlskrona ist der größte Marinestützpunkt von Schweden. Die Marine ist allgegenwärtig. Das Marinemuseum ist unbedingt zu empfehlen und sollte von keiner Crew die die Stadt anläuft ausgelassen werden.
Kalmarsund
Über Nacht hat der Wind weiter aufgefrischt. Wir sind gestern Abend in Grönhögen auf Öland eingelaufen. Es steht übler Schwel im Hafen. Die Wettervorhersage prognostiziert 25 Knoten aus Südwest. Die Boote vor und hinter uns verlegen in eine ruhigere Stelle im Hafen, bei den Fischern. Ich will auslaufen und weiter nach Kalmar. Die anderen Segler beschwören uns, dass man bei diesen Bedingungen nicht bis nach Kalmar kommt. Auch der Hafenmeister spricht von schwerem Wetter mit Wind bis zu 25 Knoten Wind aus Südwest. Susanne lässt sich von den anderen Seglern anstecken und will plötzlich auch nicht mehr auslaufen. Nachdem ich Ihr in Erinnerung rufe, dass wir schon bei deutlich mehr Wind unterwegs waren und XENIA 25 Knoten Wind im ersten Reff locker wegsteckt, legt sich Ihr Widerwillen gegen meine Entscheidung etwas. Draußen hat es dann tatsächlich die 25 Knoten Wind und XENIA steckt sie, wie erwartet ohne die geringsten Probleme im ersten Reff weg. Als wir nach rasanter Fahrt in Kalmar ankommen, bestätigt mir meine Frau, dass ich die Situation richtig eingeschätzt habe und die Stimmung an Bord war wieder erstklassig.
Kalmar ist sehr sehenswert. Es gibt eine markante Burg und viele schöne alte Gebäude in der Stadt. Ungefähr einen halben Kilometer von der Burg Richtung West gibt es einen großen Garten, der parkähnlich angelegt ist. Er wird von Rentnern bewirtschaftet und man kann zu Spottpreisen Kaffee und selbstgemachten Kuchen essen. Eine tolle Atmosphäre, schön angelegten Blumenrabatte und da er nur von Einheimischen besucht wird, machen ihn zum Geheimtipp.
Mit den Zugvögeln südwärts
Als wir heute Morgen von Borgholm, dem nördlichsten Punkt unserer Reise, los sind haben wir bei nördlichen Winden den Spinnacker gesetzt. Zwischenzeitlich segeln wir wieder in dichtestem Seenebel. Das Wasser ist glatt und ich lasse den Spi stehen. Es ist unglaublich ruhig. Unsere XENIA fährt mit 5 Knoten fast lautlos durch die unwirklich wirkende Atmosphäre. Im Radar taucht ein Sportboot im Zickzack Kurs auf. Wir geben regelmäßige Schallsignale. Man sieht absolut nichts. Ich schätze die Sichtweite auf maximal 100 Meter. Das andere Boot kommt uns offensichtlich auf Kreuzkurs entgegen. So wie es aussieht besteht keine Kollisionsgefahr. Kurz vor uns macht er eine Wende auf uns zu. Jetzt haben wir Vorfahrt, aber hat er Radar und sieht uns? OK er geht sauber hinter uns durch. Als er in Sicht kommt, hören wir kurz darauf die andere Crew laut aufschreien. Er hatte doch kein Radar und die schwedische Crew hat offensichtlich vor Überraschung geschrien, obwohl wir im Gegensatz zu ihm, regelmäßig Schallsignale gegeben haben. Puuuh – die Schweden haben echt Nerven, ich würde mich ohne Radar nicht trauen durch so eine Suppe zu fahren.
Die Nacht verbringen wir in Färjestaden. Hier gibt es die schönsten Waschräume der seitherigen Reise. Weiter geht es wieder bei achterlichen Winden aus NO mit um die 22 Knoten. Wir setzen den Spinnaker und das Groß dazu. Unsere XENIA wird richtig sportlich. Sie surft, trotz ihres hohen Gewichts und gemäßigtem Langkiel mit bis zu 9,3 Knoten Speed over Ground die Wellen hinunter. Ein wahrlich toller Ritt. Leider bricht uns durch die doch recht hohe Belastung die Kupplungswelle von unserem Autopilot. Ab jetzt ist Steuern von Hand angesagt, was bei diesen Bedingungen aber Spaß macht. Lange Zeit liefern wir uns eine Regatta mit einer Bavaria 46. Unter normalen Umständen hätten wir nicht die geringste Change. Die andere Crew hat jedoch keinen Spi gesetzt, so dass sie nicht an uns vorbeikommen. Tja, da bekommt auch eine eingefleischte Fahrtensegler Crew Regattaambitionen.
Unsere weitere Reise führt uns wieder in die Schären, wo wir tolle Tage mit Lagerfeuer und Zelten auf einsamen, unbewohnten Schären haben.
Zurück nach Bornholm wollen wir über die kleinen, vorgelagerten Inseln Utklippan und Christiansö. Wir benötigen ein geeignetes Wetterfenster, für den Schlag. Alle Wetterdienste sagen für morgen einen tollen Tag mit mäßigen Winden aus West voraus. Gegen Abend soll sich das Wetter dann markant verschlechtern und in der darauffolgenden Nacht erreicht uns dann ein Sturmtief. Ich beschließe mich auf die Vorhersagen zu verlassen und wir laufen nach Utklippan. Wir werden kurz vor dem Steinhügel mit dem hinein gesprengten Hafen von einem Gewitter erwischt. Die Wellenhöhen sind sehr beeindruckend. Glücklicherweise hat Utklippan zwei Hafeneinfahrten, so dass man immer im Lee reinfahren kann. Auf der Luvseite wäre ein Einlaufen echt unmöglich gewesen. Anlegen bei Starkregen und Böen in Sturmstärke. Meine Crew ist echt klasse und routiniert. Wir haben keinerlei Probleme im engen Hafen. Belohnt werden wir durch einen ultimativen Sonnenuntergang mit total unwirklichen Farben. Wir schauen dem Schauspiel sehr lange zu. Dieser Abend ist der stimmungsmäßige Höhepunkt unserer Reise.
Am nächsten Morgen laufen wir kurz vor Sonnenaufgang aus, Kurs Christiansö. Der Wind hat stärker nachgelassen, als vorhergesagt. Nach meinen Berechnungen dürfen wir nicht langsamer werden als 4 Knoten SOG. Nach ca. 5 Stunden hat der Wind soweit nachgelassen, dass wir diese Geschwindigkeit nicht mehr halten können, so dass wir für eine Zeit den Motor zur Unterstützung dazu nehmen.
Den angekündigten Sturm Wettern wir im gut geschützten Hafen von Gudhjem ab. Es ist schon erstaunlich wie genau die Wettervorhersagen heute sind. Wenn der DWD, das DMI und Windfinder das gleiche sagen kann man sich anscheinend recht gut darauf verlassen. Über NAVTEX und UKW erfahren wir, dass in dem Sturm eine blaue 9 Meter lange Yacht verloren gegangen ist.
Gefährliche Begegnung
Wir sind auf dem nächsten Langen Schlag von Bornholm nach Sassnitz auf Rügen. Der Wind weht mit 5 BFT aus Nordwest. Wir laufen hoch am Wind unter Vollzeug mit nahezu Rumpfgeschwindigkeit. Seit einiger Zeit beobachte ich im Plotter, den Frachter Petersburg. Das AIS sagt Passierabstand 16 Fuss in 30 Minuten – Kollisionskurs. Höher an den Wind geht nicht. Abfallen will ich nicht, da dadurch wertvolle Höhe verschenkt wird. Außerdem habe ich Vorfahrt und bin Kurshaltepflichtig. Als erst mal gar nichts machen und weiter beobachten, was der Frachter macht. Nichts passiert, er muss mich doch im AIS und auf dem Radar sehen. Langsam wird’s eng. Ich rufe Ihn über UKW auf Kanal 16.
Petersburg, Petersburg, Petersburg, this is sailing vessel XENIA 2 –
XENIA 2 this is Petersburg –
Petersburg, this is sailing vessel XENIA 2 in front of you, what is your intention Sir?
…
Es stellte sich heraus, dass er uns tatsächlich übersehen hatte. Der Kapitän war sehr höflich und hat um 20° nach Backbord abgedreht so dass er mit einem Abstand von einer halben Seemeile hinter uns durch ist. Lange denke ich noch über die Begegnung nach und komme zu folgenden Erkenntnissen. Die Großschifffahrt kann mich auch mit AIS-Transponder und SOLAS zugelassenem Radarreflektor im Mast übersehen. AIS ist auch zur Kontaktaufnahme hilfreich. Der Kapitän hat auf den Anruf mit seinem Namen sofort reagiert. Bei unklaren Situationen kann diese hervorragend durch den Einsatz von UKW Seefunk geklärt werden.
Anlegen unter Segel
Bald sind wir wieder in Greifswald. Wir müssen durch das Landtief Fahrwasser in den Greifswalder Bodden. In der Rinne ist es durch die vielen Berufschiffe eng. Hier wird momentan eine Gaspipeline nach Russland verlegt. Der Wind kommt mit 20 Knoten direkt von vorne. Wir haben die Fock weggerollt, das Groß durchgesetzt und fahren unter Motor in der Fahrrinne. Direkt nach dem letzten Tonnenpaar biegen wir nach Steuerbord ab mit Peilung Tonne Tiesow.
Die Fock ausrollen, Großschot fieren, Motor in den Leerlauf – der Motor geht nicht in den Leerlauf, sondern steht. Was ist das? Ich versuch ihn wieder zu starten. Ohne Erfolg. Erst mal besteht keine Gefahr da wir ja segeln können. Ich überlege was zu tun ist. Nach Greifswald kommen wir bei dieser Windrichtung und Stärke nicht, da die Fahrrinne vor Wiek zum Kreuzen zu eng ist. Sinn voll ist eigentlich nur nach Gager zu fahren. Bei dieser Windrichtung müssten wir ohne Problem in den Hafen reinkommen. Selbst wenn sich die Windrichtung wegen der Ablenkung durch die Zickerschen Berge etwas ändert. Der Hafen ist groß und man kann im Becken kreuzen. Mit einem Aufschießer dann an der Mole anzulegen sollte klappen.
Ich bespreche alles bis ins Detail mit meiner Crew. Tobias bedient die Fock. Susanne springt mit einem Festmacher auf die Mole und versucht eine Leinenverbindung herzustellen. Tobias kommt Ihr zu Hilfe, sobald die Fock weggerollt ist.
Bevor wir auf die Fahrrinne zum Hafen gehen nehmen wir das Großsegel weg und bringen die Fender aus. Auf der Rinne gibt es keine Probleme. In Hafenbecken kreuzen wir wie eine Billardkugel zur Mole. Aufschießer – wir stehen neben der Mole. Susanne springt rüber und Tobias hilft ihr beim Festmachen. Ein perfektes Manöver! Ich lobe bei der Nachbesprechung meine tolle Crew in den höchsten Tönen.
Am nächsten Tag gelingt es mir den Motor wieder zu starten und er macht nach diversen Tests auch keine Probleme mehr. Zum Glück ist die Saison zu Ende und er bekommt die nächsten Tage in Greifwald seinen Service.
Kommentar verfassen